Knabe mit blauer Weste
Der merkwürdige Titel ist eine ironische Bezugnahme auf ein Werk von Paul Cézanne, „Der Knabe mit roter Weste“, ein von Lionello Venturi zugeschriebener Titel (Cézanne, son Art – son Œuvre, Paris 1936). Dieses und viele andere Werke von Cézanne hatte Martin Eller Anfang der 1990er Jahre studienhalber kopiert. Auch der Untertitel „Deutschland, ein Wintermärchen“ nach dem satirischen Versepos von Heinrich Heine ist ein ironischer Anklang. Das hier beschriebene Bild aus einer Serie zum Thema Jugend und Kulturaneignung zeigt einen jungen asiatischen Touristen vor dem Kölner Dom. Die üblichen Kultur-Touren durch die Kulturstädte Europas werden in diesem Bild paraphrasiert, die schnelle Abfolge von „Kultur-highlights“ überfordern jeden, so wie den jungen Mann im Bild, der mit seiner hilflosen Gestik nach dem Sinn solcher gleichsam „gewaltsamen Kulturüberblicksverschaffung“ zu Fragen scheint.
Die malerischen Details am Dom selber, der wie eine kolossale Wand den Hintergrund bildet, sind auf sorgfältiger Tusche-Unterzeichnung aufgebaut und durch nachträgliche Vermalungen verschwommen dargestellt. Dadurch kommen die bunten Figuren und die Hauptfigur auf dem Domplatz besser zur Geltung. Durch die trocken wirkende Farbgebung entsteht eine leichter Anklang, der ein wenig an Pop-Art-Darstellungen erinnert. Das Bild ist in jeder Hinsicht außergewöhnlich und mit seinen vielschichtigen Bezugnahmen eine Rarität unter den Arbeiten von Martin Eller.
KNABE MIT BLAUER WESTE (Deutschland, ein Wintermärchen) von Martin Eller, WVZ 1882, Tusche und Tempera auf Leinwand 70 x 100 cm